Rezension: Blue Reflection: Second Light (Switch)

In einer fremden Welt gefangen, suchen Ao und andere Mädchen in Blue Reflection: Second Light nach ihren Erinnerungen und einem Weg nach Hause.

Blue Reflection: Second Light, das in Japan den Untertitel Tie trägt, ist der Nachfolger des 2017 für PlayStation 4, PlayStation Vita und PC veröffentlichten ersten Teils der Rollenspiel-Reihe von Entwicklerstudio Gust und Publisher Koei Tecmo. Über vier Jahre nach dem Vorgänger ist das Franchise mittlerweile um eine Anime-Serie und ein für Japan angekündigtes Mobile-Spiel erweitert worden und erhält mit Blue Reflection: Second Light eine Fortsetzung, die zwar Bezüge zum ersten Teil aufgreift, aber trotzdem kein zwingendes Vorwissen aus diesem benötigt und somit eigenständig gespielt werden kann. Wer Blue Reflection jedoch gespielt hat, wird aufgrund von Anspielungen und Details einen kleinen, nicht Spielspaß beeinflussenden, Mehrwert erhalten.

Emotionale Erinnerungssuche

Die Geschichte von Blue Reflection: Second Light folgt der Schülerin Ao Hoshizaki, die auf ihrem Weg zum Zusatzunterricht während der Sommerferien, plötzlich in einer ihr unbekannten Welt landet. In dieser von Wasser umgebenen Schule leben die Mädchen Kokoro Utsubo, Yuki Kinjou und Rena Miyauchi, die sich außer an ihre Namen an nichts mehr aus ihrem bisherigen Leben erinnern. Entsprechend überrascht reagieren sie auf Aos plötzliches Erscheinen und ihre Erzählungen einer vollkommen anderen Welt. Als eines Tages plötzlich am Horizont ein anderer Ort auftaucht, beschließen die Mädchen, diesen zu erkunden, um möglicherweise einen Weg in Aos Welt zu finden. Dort begegnen sie Dämonen und finden heraus, dass sie besondere Kräfte zum Kämpfen haben. Später stellt sich zudem heraus, dass die mit der Schule verbundenen Orte, aus den Erinnerungen und Herzen der Mädchen stammen. Hier können sie nicht nur ihre tiefsten Gefühle und wichtige Momente ihres Lebens nachempfinden, sondern auch alles Vergessene zurückerlangen.

Viel mehr soll zur Geschichte in diesem Test nicht verraten werden, um mögliche Spoiler zu vermeiden. Nur so viel sei noch erwähnt: Ao, Kokoro, Yuki und Rena schließen sich schon recht bald weitere Mädchen, die ebenfalls ihre Erinnerungen verloren haben, an. Hier zeichnet sich schon bald ein recht simples Grundprinzip ab, das uns in jedem Kapitel den besonderen Ort, genannt Heartscape, eines Mädchens erkunden und somit deren Emotionen und Erinnerungen erleben lässt. Doch nicht falsch verstehen, obwohl Blue Reflection: Second Light einem Muster folgt, ist dieses abwechslungsreich genug, um nicht langweilig zu werden. Jeder Heartscape, die mit Dungeons aus anderen Rollenspiel zu vergleichen sind, ist individuell genug, um stets aufs Neue zum Erkunden der linearen und überschaubaren Orte einzuladen. Die größte Stärke dabei sind aber die erzählten Geschichten rund um die Mädchen, ihre oft emotionalen und prägenden Erinnerungen sowie die Charaktere selbst. Es ist motivierend, mehr über Ao, Kokoro, Yuki, Rena und die anderen zu erfahren und langsam auch immer tiefer in die Geschichte um die geheimnisvolle Schule einzutauchen.

Taktik trifft Action

Treffen wir in den Heartscapes auf Gegner, kommt es zum Kampf. Dabei ist es wichtig, ob wir den zuvor in der Umgebung sichtbare Dämon zuvor aktiv angegriffen oder uns sogar von hinten angeschlichen haben, ohne bemerkt zu werden. Beides schaltet wichtig Vorteile zu Beginn des Kampfes frei. Auseinandersetzungen werden Genre-typisch in einem Extrabildschirm ausgekämpft. Statt auf ein rundenbasiertes System, setzt Blue Reflection: Second Light auf eine Mischung aus klassischen Japan-Rollenspiel-Konfrontationen und Echtzeit. Am unteren Bildschirmrand wird eine Zeitleiste angezeigt, die darstellt, wie viele für Aktionen notwendige Punkte unsere Charaktere besitzen. Erreichen sie einen der Meilensteine auf der Zeitlinie, können einfache Aktionen der ersten Stufe ausgeführt werden. Anschließend steigt das Skilllevel an und der entsprechende Charakter kann auf der Zeitlinie eine Stufe weiter voranschreiten, um stärkere aber auch teurere Aktionen einzuleiten. Wichtig dabei ist, dass wir nur den Anführer der maximal drei Charaktere umfassenden Gruppe aktiv steuern müssen. Haben wir den Automatik-Modus aktiviert, agieren die beiden anderen Kämpferinnen selbstständig, wir haben aber die Gelegenheit, ihnen auch manuell Anweisungen zu geben.

Erreicht ein Charakter die Skillstufe drei, verwandelt sie sich dank des Rings, den sie alle tragen, in einen sogenannten Reflektor und wird somit noch mächtiger. Hier sind eindeutig Magical-Girls-Elemente zu erkennen. Allgerdings bewegt sich Blue Reflection: Second Light dank der emotionalen und ernste Themen wie Mobbing ansprechenden Geschichte nicht im strahlenden und fröhlichen Bereich, der oft zu unrecht mit dem Genre verbunden wird. Zusätzlich zu den drei aktiven Charakteren, kann noch ein Mädchen als Support am Kampf beteiligt sein. Diese vierte Figur löst nach einer bestimmten Zeit unterstützende Fähigkeiten aus oder kann auf Anweisung Gegenstände einsetzen und sogar die Position mit einem Mitglied der aktiven Gruppe tauschen. Das bringt eine willkommene Dynamik in den Kampf und ermöglicht es uns, besonders geschwächte Charaktere schnell auszutauschen.

Eine weitere Besonderheit des Kampfsystems sind die One-on-Ones. Neben der Möglichkeit Gegner per Knockout zeitweise Kampfunfähig zu machen, können wir in diesen Situationen auch ihren Schild durchbrechen und damit direkte Duelle auslösen. Hierbei tritt eines der Mädchen in einer Eins-gegen-Eins-Konfrontation gegen einen Feind an. Statt zu warten bis wir mit einer Aktion an der Reihe sind, dürfen wir hier mit kaum vorhandenen Wartezeiten angreifen, eine Spezialaktion auslösen und feindlichen Attacken entweder ausweichen oder diese sogar kontern. Das erinnert fast an ein Fighting Game ohne direkte Echtzeit-Kämpfe und ist überaus erfrischend.

Beziehungsreicher Alltag

Als Ausgangspunkt und Wohnstätte nimmt die von Wasser umgebene Schule eine wichtige Rolle ein. Von hier gelangen wir in die Heartscapes, bringen die Geschichte abseits der Figuren bezogenen Handlungen voran, erleben wichtige Ereignisse und verbringen auch unseren Alltag. So nehmen wir als Ao etwa meist eher simple Anfragen der anderen Mädchen an, laden diese zu Verabredungen ein und knüpfen so engere Banden. Die Beziehungen sind ein wichtiger Faktor in in Blue Reflection: Second Light, da mit steigender Bindung das Talent-Level der Charaktere steigt. Dadurch verdienen wir wiederum Talentpunkt, die wir in neue aktive und passive Talente investieren dürfen. Hier schalten wir auch neue Effekte für das Herstellen von Items und Einrichtungen sowie weitere Fragment-Slots frei. Letztere sind zusätzliche passive Effekte, die Ao und den anderen Boni gewähren und die wir durch das Abschließen von Dates oder Aufträgen erhalten.

In den Heartscapes gefundene Materialien dürfen wir in der Schule verwenden, um verschiedene Gegenstände herzustellen. Darunter etwa Heilobjekte oder Baumaterial. Die Effekte dieser werden von den ausgewählten Charakteren sowie deren Fähigkeiten beeinflusst. Es ist also wichtig zu überlegen, wer was herstellt und welche Zutaten wir verwenden, um möglichst gute Ergebnisse zu erzielen. Zusätzlich dürfen wir Einrichtungen bauen, die wir an vorgegebenen Stellen in der Schule platzieren können. Das beeinflusst das Zusammenleben der Mädchen in der Schule, kann weitere Dialoge oder Date-Orte freischalten und bringen Boni im Kampf. Platzieren wir zueinander passende Einrichtungen in der Nähe, werden die Effekte erhöht. Außerdem können wir die gebauten Einrichtungen verbessern und so ebenfalls die Boni erhöhen.

Präsentiert wird Blue Reflection: Second Light wie auch die Atelier-Spiele, die ebenfalls von Gust stammen, in eher zweckmäßiger als zeitgemäßem grafischen Gewand. Auf der Nintendo Switch zeigen sich sichtbares Kantenflimmern, Fragmente, unsaubere Schattendarstellung in der Entfernung, matschige Texturen, detailarme Objekte und dergleichen mehr. Wirklich störend ist das aber nicht, da die wichtigen optischen Aspektes des Rollenspiels überzeugen können. Die von Anime inspirierten Charaktermodelle sind schick, zentrale Einrichtungen der Schule angemessen detailreich und besonders die Heartscapes wissen mit viel Abwechslung und durchaus schönen Umgebungensthematiken zu überzeugen. Die eher steife Inszenierung wird von der interessanten und emotionalen Geschichte sowie den sympathischen und vielschichtigen Charakteren mehr als wett gemacht. Dazu gesellt sich eine schöne Musikuntermalung, gelungene Soundeffekte und eine sehr gute japanische Synchronisation. Zwar sind nicht alle Dialoge vertont, dafür wissen die wichtigen Momente dank der gut gewählten Sprecherinnen um so mehr zu überzeugen. Lediglich der Verzicht auf deutsche Texte, die nur in Englisch vorliegen, ist bedauerlich, kann dem sonst aber spaßigen Japan-Rollenspiel-Erlebnis, das sowohl bei Geschichte, Charakteren als auch Gameplay überzeugt, aber kaum schaden. Entsprechend Sprachkenntnisse in Englisch vorausgesetzt.

Fazit

Als Fan der Atelier-Spiele war ich schon neugierig auf das erste Blue Reflection, hatte bisher aber keine Gelegenheit, das Rollenspiel nachzuholen. Entsprechend gespannt war ich auf den Nachfolger Blue Reflection: Second Light. Recht schnell hat mich die Geschichte um die in einer von Wasser umgebenen Schule gefangenen Mädchen, ihre verlorenen Erinnerungen sowie die emotionalen Hintergründe der Charaktere, gefesselt. Obwohl das Rollenspiel einem klar erkennbaren Muster folgt, wird stets für ausreichend Abwechslung gesorgt, was neben den unterschiedlichen Heartscapes vor allem den Figuren zu verdanken ist. Dazu gesellen sich die motivierenden Kämpfe, die das lineare Erkunden der Level spürbar aufwerten. Selbst die eher simplen Nebenmissionen haben mich nie gelangweilt, da diese eher ein Mittel zum Zweck sind, um die Beziehungen zwischen den Charakteren zu festigen, mehr über sie zu erfahren und weitere kleine Zwischensequenzen sehen zu können. Entsprechend gerne habe ich meine Zeit in der Schule verbracht, Aufträge angenommen, mit den anderen Mädchen verschiedene Orte besucht oder neue Einrichtungen gebaut. Dennoch bleibt Blue Reflection: Second Light eher ein Nischen-Japan-Rollenspiel, das gerade aufgrund einiger eher simpler Mechaniken und der nicht unbedingt aufwendigen Grafik nicht jedem gefallen wird. Fans der Atelier-Reihe, des Vorgängers und des Genres, sollten sich Blue Reflection: Second Light trotzdem genauer anschauen.

Kurzfazit: Motivierendes Rollenspiel das optische und spielerische Schwächen mit einer emotionalen Geschichte, ernsten Themen, sympathischen Charakteren sowie spaßigen Kämpfen ausgleicht. Ein kleiner Genre-Geheimtipp.

Vielen Dank an Koch Media und Koei Tecmo für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Blue Reflection: Second Light!

Details
Titel: Blue Reflection: Second Light
Genre: Rollenspiel
Publisher: Koei Tecmo
Entwickler: Gust
Spieler: 1
Syteme: Switch (getestet), PlayStation 4, PC
Altersfreigabe: ab 16
Erscheinungsdatum: 09. November 2021