Rezension: Haibane Renmei – Gesamtausgabe (Blu-ray)
Nach Serial Experiments Lain hat Nipponart mit Haibane Renmei einen weiteren Anime-Klassiker, basierend auf einer Idee von Yoshitoshi ABe, im diesjährigen Programm.
Frisch aus einem Kokon geschlüpft, erwacht die junge Rakka inmitten einer kleinen Gruppe Frauen, die alle einen Heiligenschein und graue Flügel besitzen. Sie sind Haibane, genauso wie Rakka selbst. Ihre Erinnerungen an ihr bisheriges Leben hat sie verloren und schon bald wachsen auch ihr Flügel und sie erhält ihren Heiligenschein. Die Stadt, in der sie sich nun befindet, ist von hohen Mauern umgeben, die lediglich die Vögel überwinden dürfen. Warmherzig von ihren neuen Gefährtinnen und Freundinnen sowie den Menschen der Stadt aufgenommen, versucht Rakka sich in ihrem neuen Leben zurecht zu finden. Besonders die erfahrene Reki ist ihr dabei eine große Hilfe. Aber ist der Ort, in dem die Haibane als etwas Besonderes betrachtet werden, tatsächlich das Paradies, das er zu sein scheint? Und was sind die Haibane überhaupt?
Poetisch-philosophisch
Dass an Haibane Renmei genauso wie Serial Experiments Lain der japanische Künstler Yoshitoshi ABe beteiligt war, ist der 13-teilige Anime-Serie von 2002 sowohl an Stil als auch Art anzumerken. Erzählt wird die Geschichte der jungen Rakka, die ohne jegliche Erinnerung als Haibane neugeboren in einer ihr unbekannten, durch eine hohe Mauer begrenzten Welt erwacht. Schon früh zeichnet sich ab, dass Rakka ihr neues Dasein in Frage stellt und von schemenhaften Erinnerungen, die sie nicht greifen kann, geplagt wird. Dennoch beginnt die Geschichte eher sanft und lässt sich gerade in der ersten Hälfte als märchenhafter Fantasy-Slice-of-Life-Anime bezeichnen. Rakka lernt das Leben in ihrer neuen Heimat kennen, findet sich zusehends besser zurecht und schließt schnell enge Bindungen mit den anderen Haibane, die genauso wie sie in den alten Gemäuern von Old Home, der Heimstatt der kleinen Gruppe, leben. So erlebt Rakka gemeinsam mit Reki, Hikari, Nemu, Kana und Ku einige einfache, aber meist fröhliche Tage.
Allerdings werden stets – und sei es nur unterschwellig – fragen über die Existenz, die Haibane, die Mauer oder die Welt mit eingeflochten. Das verleiht Haibane Renmei von Anfang an einen tiefgründig-philosopisch und spirituellen Einschlag, während die Geschichte in der zweiten Hälfe zusehends melancholischer wird, dabei aber nicht an der immer irgendwie vorhandenen Leichtigkeit verliert. Rakka muss lernen, dass auch das Leben als Haibane nicht immer fröhlich ist und sich zusätzlich mit ihren eigenen Gefühlen, ihrem Selbst auseinandersetzen. Schuld, Sühne und Vergebung werden zentrale Elemente, ohne dass Haibane Renmei zu sehr zu einem dunklen, beklemmenden Drama wird. Viel mehr wirft die Serie Fragen auf, führt die beiden Protagonistinnen Rakka und Reki weiter auf ihrem Pfad und lässt viel Freiraum für Spekulationen. Dadurch bleiben zwar einige Fragen nach dem schönen Ende unbeantwortet, doch das macht einen Teil des Reizes von Haibane Renmei aus. Damit lädt die Serie zum interpretieren ein. Doch auch ohne, wenn man sich nicht mit der möglicherweise vorhandenen tieferen Bedeutung auseinandersetzen möchte, bleibt eine faszinierende, wunderschön erzählte Geschichte.
Optisch kann sich Haibane Renmei trotz des Alters von 15 Jahren auch heute noch sehen lassen. Egal ob Old Home mit seinen zahlreichen, teils verfallenen Zimmern, die ans südliche Europa angelehnte Stadt oder der mysteriöse Westwald, die Serie bietet schön gestaltete Hintergründe mit vielen Details. Da fallen die nicht mehr ganz zeitgemäßen Animationen kaum ins Gewicht. Besonders, weil Haibane Renmei auch dank der guten Blu-ray-Umsetzung hervorragend gealtert zu sein scheint. Untermalt wird das alles vom wundervollen Soundtrack, der vorwiegend auf ruhige Stücke setzt und maßgeblich zur mal sanften, mal fröhlichen, mal melancholischen Stimmung beiträgt. Hier sticht bereits das Opening hervor, das es versteht, perfekt die Möglichkeiten eines langsam einsetzenden Orchesters mit der schönen Bildsprache in Einklang zu bringen. Dass zudem die deutsche Synchronisation weitgehend gelungen ist, rundet das Erlebnis von Haibane Renmei zusätzlich ab.
Fazit
Ein wenig habe ich das Gefühl, dass ich in letzter Zeit bei einigen Serien schreibe, dass sie schon längere Zeit auf meiner Nachhol-Liste stehen. Vielleicht ein gutes Zeichen, dass ich endlich die Möglichkeit dazu habe. Haibane Renmei gehört in diese Kategorie. Die mysthische Geschichte hat mich angesprochen und ich wurde nicht enttäuscht. Anfangs sanfte Fantasy-Slice-of-Life, gewinnt Haibane Renmei später durch die melanchlisch-spirtuellen Einsätze zusätzlich an Tiefe und die gewichtigen Fragen nach der Existenz vermischen sich mit der Schuld- und Vergebung-Thematik zu einem nachdenklichen, poetischen Gesamtwerk. Dabei überzeugt die Serie nicht nur mit einer poetisch-märchenhaften Stimmung und Geschichte, sondern auch bei den Charakteren, die man alle schnell ins Herz schließt. Dass zum Ende viel Spielraum für Spekulationen bleibt, ist genau richtig, da Haibane Renmei dadurch dazu einlädt selbst über das Gesehene nachzudenken und diese zu interpretieren. Das hat etwas faszinierendes, ist aber nicht notwendig, um die Geschichte von Rakka und Reki genießen zu können. Auch, wer einfach nur eine sanfte, einfühlsame Anime-Serie sehen möchte, ist bei Haibane Renmei genau richtig.
Kurzfazit: Slice of Life trifft auf spirituelles Drama: Haibane Renmei erzäht eine poetische, einfühlsame Geschichte und schafft es, diese mit existenziellen Fragen und viel Spielraum für Interpretation zu versehen.
Vielen Dank an Nipponart für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Haibane Renmei – Gesamtausgabe!
Details
Titel: Haibane Renmei
Originaltitel: Haibane Renmei
Genre: Drama, Fantasy
Regie: Tomokazu Tokoro
Studio: Radix Ace Entertainment
Produktionsjahr: 2002
Laufzeit: ca. 325 Minuten
Sprachen: Deutsch (DTS-HD 5.1), Japanisch (PCM 2.0)
Untertitel: Deutsch
Extras: Sticker, Booklet
Herkunftsland: Japan
Altersfreigabe: ab 12
Erscheinungstermin: 08. Dezember 2017
Herstellerseite: Haibane Renmei – Gesamtausgabe bei Nipponart
Bilder © Yoshitoshi Abe – Aureale Secret Factory