Rezension: Lost Judgment (PS5)

Privatdetektiv Takayuki Yagami ermittelt in Lost Judgment in zwei Fällen von sexueller Belästigung und Mord, die miteinander verbunden sind.

Lost Judgment ist der Nachfolger des 2018 veröffentlichten Spin-offs der Yakuza-Reihe, Judgment. Erneut schlüpfen wir in die Haut von Privatdetektiv und Ex-Anwalt Takayuki Yagami. Gemeinsam mit unserem Partner, dem Ex-Yakuza Kaito, ermitteln wir in verschiedenen Fällen und stellen uns einer verwinkelten, spannend erzählten Hauptgeschichte in der zwei Verbrechen eng miteinander verbunden sind. Dabei beginnt Lost Judgment, das erneut auf eine offene Welt und allerlei Nebenbeschäftigungen setzt, relativ simpel. Als Yagami verfolgen wir einen potenziellen Betrüger, der unsere Klientin dazu gebracht hat, sich mit Millionen Yen zu verschulden, um sie schließlich in die Zwangsprostitution zu treiben. Hier lernen wir die wichtigsten Grundlagen des Detektivdaseins.

Privatdetektiv und Ex-Anwalt

Während wir unser Ziel verfolgen, müssen wir unentdeckt bleiben, Beweisfotos schießen, uns gegen Kriminelle zur Wehr setzen und heimlich schleichend ein Gebäude infiltrieren. Alle Gameplay-Mechaniken werden in unterschiedlicher Häufigkeit auch im weiteren Spielverlauf genutzt, um die zahlreichen Haupt- und Nebenaufträge zu erfüllen. Allerdings lernen wir zu Beginn nicht alles. Selbst nach etlichen Spielstunden kommen immer wieder neue Elemente hinzu und sorgen so für die nötige Abwechslung im Detektivalltag. Wenn wir etwa nicht mehr nur unsere Umgebung inspizieren oder Fotos schießen, sondern auch mit einem speziellen Gerät Geräusche verstärken können, erweitert das maßgeblich unsere Möglichkeiten. Leider setzt Lost Judgment meist gezielt auf ein bestimmtes Element. Dadurch haben wir wenig Einfluss darauf, ob uns nun ein Foto weiterbringt oder ob wir jemanden beschatten und mittels Verfolgungsjagd zu fangen versuchen. Wirklich eingeschränkt fühlen wir uns aber nie, da die Gameplay-Mechaniken sinnvoll zum Einsatz kommen.

Die meiste Zeit sind wir sowieso vollkommen frei in den beiden Stadtteilen Kamurocho und Isezaki Injincho unterwegs. Beide können sich hinsichtlich der Größe sehen lassen und bergen zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten. Schon kurz nachdem wir unseren Tutorial-Fall gelöst haben, dürfen wir etwa frei entscheiden, ob wir direkt zu unserem Büro zurückkehren oder lieber noch ein wenig Kamurocho unsicher machen. Lediglich hinsichtlich von Nebenmissionen ist Lost Judgment anfangs noch etwas eingeschränkt. Erst mit der Zeit eröffnen sich uns diesbezüglich immer mehr Möglichkeiten. So nehmen wir optionale Fälle, die von der Hauptgeschichte abweichen an und versuchen die teils skurrilen, teils spannenden und teils witzigen Fälle zu lösen. Abseits davon dürfen wir in Arcade-Spielehallen oder dem Master System in unserem Büro Sega-Klassiker spielen, uns im Batting-Center an Baseball-Herausforderungen versuchen, diverse Glücksspiele wie Mahjong oder Shogi spielen oder in ein virtuelles Brettspiel eintauchen. Verschiedene Restaurants, Bars und Essenstände bieten zudem diverse Nahrungsmittel und Getränke. Darunter auch Alkohol, der eine entsprechende Wirkung auf Yagami hat.

Geheimnisvoller Mordfall

Aber worum geht es eigentlich in Lost Judgment? Wie bereits erwähnt, beginnt das Spiel mit einem eher simplen Fall. Schon während dieser Einführung erfahren wir mehr über die aktuelle Arbeit der Anwaltskanzlei Genda für die Yagami früher gearbeitet hat und die ihm immer noch Aufträge gibt. Unsere ehemaligen Kollegen vertreten einen Polizisten, der in einer U-Bahn einer Frau unter den Rock gefasst hat. Aufgrund der Beweislage ist eine Verurteilung lediglich Formsache. Zuvor haben wir bereits erfahren, dass die Feuerwehr eine verweste Leiche entdeckt hat. Wenig überraschend, werden wir in beide Fälle, die miteinander verbunden zu sein scheinen, hineingezogen. Und das während wir bereits an einem wichtigen Schauplatz, der gerade mit dem Mord in Verbindung steht, ermitteln.

Allzu viel soll hier nicht zur Geschichte verraten werden, da Lost Judgment eindeutig von der spannenden und wendungsreichen Handlung lebt. Jede neue Enthüllung liefert weitere Fragen und motiviert uns dazu, noch tiefer in die kriminellen Machenschaften verschiedener Personen einzutauchen. Dabei bleibt Lost Judgment allerdings angenehm bodenständig und verzichtet auf irgendwelche unrealistischen Elemente. Vielmehr handelt es sich bei dem Action-Adventure um einen waschechten Detektiv-Thriller, der es schafft, von Anfang an zu fesseln und die Spannungskurve immer weiter anziehen zu lassen. An dieser Stelle auch ein wichtiger Hinweis: Über unser Smartphone, das im Spiel als Menü fungiert, können wir jederzeit die Fallakten ansehen. Das ist hilfreich, um noch einmal die aktuellen Ereignisse in Erinnerung zu rufen oder mehr Details über Personen und Beweise zu erhalten. Leider hatte sich in unserer Testversion hier aber am Ende des vierten Kapitels ein Spoiler in der Beschreibung einer Figur versteckt. Glücklicherweise nur in den Texten des ersten und zweiten Kapitels und nicht in denen der aktuellen Spielabschnitte. Ärgerlich kann das trotzdem sein. An der Story-Qualität, die auch von den großartig geschriebenen Charakteren profitiert, ändert das natürlich nichts.

Kung-Fu-Meister und Schulermittler

Wenig überraschend ziehen wir als Privatdetektiv auch die Aufmerksamkeit von Kriminellen auf uns. Perfekt, dass Yagami ein Meister in seiner eigenen Kung-Fu-Kampfweise ist. So dürfen wir uns allerlei Gegnern in unterschiedlichen Kampfstilen entgegenstellen und die Gangster ordentlich vermöbeln. Selbst große Gruppen können wir je nach Schwierigkeitsgrad mit der nötigen Übung besiegen. Die mächtigen Ex-Angriffe und andere Spezialfähigkeiten helfen uns dabei und bereichern das Kampfsystem spürbar. Schon nach kurzer Zeit gehen die Auseinandersetzungen in Fleisch und Blut über und wir stellen uns jeder Konfrontation mit Freuden entgegen. Und derer gibt es zahlreiche, da die beiden Stadtteile von massig Kriminellen heimgesucht werden. Von Yakuza über Straßengangs bis hin zu Schul-Delinquenten ist alles vorhanden und wir dürfen uns reichlich prügeln. Knackige Bosskämpfe dürfen dabei natürlich auch nicht fehlen. Ärgerlich nur, wenn diese direkt an einen anderen Kampf anschließen und im Schwierigkeitsgrad mal eben deutlich anziehen. Aber das ist auch der einzige kleine negative Kritikpunkt an den sonst sehr spaßigen und actionreichen Kämpfen. Verdiente Skill-Punkte dürfen wir in neue passive und aktive Fähigkeiten investieren oder sie in bestimmten Läden gegen Gegenstände eintauschen.

Damit aber noch nicht genug, werden der Haupt- und die Nebenfälle noch von den Schulgeschichten bereichert. Dabei handelt es sich um eine ganz eigene Kategorie in unserer Aufgabenliste. Recht früh im Spiel besuchen wir erstmals die private Seiryo Oberschule und übernehmen dort, um weiter ermitteln zu können, eine Position als Klubbetreuter. Fortan heißt es in dieser Funktion ebenfalls einige, von der Hauptgeschichte unabhängige, Ermittlungen aufzunehmen. Die Schulgeschichten erzählen eine eigene Handlung in der wir einem Kriminellen, der direkt mit den Schülern der Seiryo verbunden zu sein scheint, zu finden versuchen. Dafür begeben wir uns Undercover in die unterschiedlichsten Klubs und versuchen, mehr über die dortigen Geschehnisse herauszufinden. Verbunden ist das nicht nur mit einigen wirklich spannenden Geschichten und tollen Charakteren, sondern auch diversen Nebenbeschäftigungen. So müssen wir uns im Tanzklub etwa an Rhythmusherausforderungen im Stil eines Musik- oder Tanzspiels versuchen, dürfen beim Robotikklub einen eigenen Roboter zusammenstellen und in Roboterkämpfen antreten oder steigen in den Boxring. Abwechslung ist garantiert und zeitweise haben uns die Schulgeschichten so gefesselt, dass wir die Hauptgeschichte einfach vergessen und stundenlang nur die Fälle rund um die Seiryo verfolgt haben. Daran zeigt sich wie gelungen dieser Nebenstrang ist.

Urbane Städte, glaubhafte Darstellung

Lost Judgment sieht wirklich toll aus. Kamurocho und Isezaki Ijincho sind lebhaft umgesetzt und wecken das Gefühl von richtigen Großstadt-Vierteln. Überall finden sich feine kleine Details wie Pfützen, Spuren von Reparaturen am Asphalt der Straßen oder nicht mehr komplett erkennbare Markierungen auf selbigen. Gebäude wirken glaubhaft und die Städte sind mit Verkehr und Menschen schön lebhaft. Sicher, manchmal könnte etwas mehr los sein und, dass wir gelegentlich ein und den selben Passanten drei Mal sehen, kratzt ebenfalls am sonst guten Eindruck, aber das sind Kleinigkeiten im Vergleich zur enormen Detailliebe mit der die Spielwelt umgesetzt ist. Zusätzlich ist vieles in der Umgebung zerstörbar. Wir können Fahrräder, Mülleimer und Schilder umwerfen oder im Kampf Schaufensterscheiben beschädigen. Überall weist Werbung auf verschiedene Geschäfte, Anime, Videospiele und allerlei mehr hin. Dadurch wirken beide Viertel wirklich lebendig und wie aus der Realität gegriffen. Abgerundet wird die optisch gelungene Umsetzung von den wirklich detailreichen Charakteren, die sichtlich von Schauspielern verkörpert wurden und deshalb mit ausgezeichneter Mimik überzeugen.

Abgerundet wird das von einer hervorragenden Sound- und Musikuntermalung. Gerade letztere ist allerdings nicht immer präsent, was natürlich logisch ist. Schließlich hören wir nicht die ganze Zeit Musik, dafür wirken die Momente in denen doch auf einen Soundtrack gesetzt wird umso eindrucksvoller und unterstreichen wunderbar die packende Atmosphäre. Zusätzlich trumpft Lost Judgment mit realistischen Soundeffekten, die der Spielwelt noch mehr Glaubwürdigkeit verleihen auf. Dem schließt sich eine hochwertige japanische und eine sehr gute Englische Synchronisation an. Allerdings gibt es keine komplette Vertonung. Gerade in Nebenmissionen, den Schulgeschichten oder Alltagsszenen wurde auf eine Sprachausgabe verzichtet. Der Stimmung schadet das aber kaum. Zusätzlich verfügt Lost Judgment über wirklich gelungene deutsche Texte, die das Spiel noch zugänglicher macht. Und verdient hat das Detektiv-Action-Adventure eure Aufmerksamkeit auf jeden Fall. Alleine die spannende, mitreißende Geschichte lohnt sich für jeden Thriller-Fan, doch auch viele Nebenfälle und die Schulgeschichten sind gemeinsam mit dem großartigen Gameplay ein Spielspaßgarant. Damit ist Lost Judgment ein heißer Anwärter auf das Spiel des Jahres – oder zumindest einen Platz sehr weit oben in den entsprechenden Listen!

Fazit

Obwohl ich bisher keine Gelegenheit hatte mich mit der langlebigen Yakuza-Reihe oder Judgment zu beschäftigen, habe ich mich im Vorfeld wirklich auf Lost Judgment gefreut. Die Detektiv-Thriller-Geschichte und das etwas andere Open-World-Action-Adventure-Gameplay haben meine Neugier geweckt. Und Lost Judgment hat mich nicht enttäuscht. Eher im Gegenteil, wurden meine Erwartungen sogar noch übertroffen. Schon nach kurzer Zeit hat mich die Mischung aus offener Spielwelt mit zahlreichen Beschäftigungsmöglichkeiten, packender Kriminalgeschichte, unterhaltsamen Schulgeschichten und actionreichen Kämpfen nicht mehr losgelassen. Egal ob ich als Yagami nun versuche hinter die Geheimnisse der Haupthandlung zu kommen, einen Nebenfall verfolge, mich den Ermittlungen in den Klubs der Seiryo Oberschule widme oder einfach nur ein paar Arcadespiele spiele, Lost Judgment ist einfach immer ein großer und abwechslungsreicher Spaß, der niemals langweilig wird. Fans des Vorgängers und der Yakuza-Reihe werden sowieso zugreifen, doch auch alle anderen, die etwas mit spannenden Detektiv-Krimis anfangen können, sollten sich Lost Judgment nicht entgehen lassen. Das Action-Adventure des Ryu Ga Gotoku Studios ist ein eindeutiger Anwärter für das Spiel des Jahres und für mich jetzt schon eines der besten Videospiel-Erlebnisse 2021.

Kurzfazit: Spannender, mitreißender Detektiv-Thriller der mit abwechslungsreichem Gameplay, packenden Geschichten, tollen Charakteren und zahlreichen Nebenbeschäftigungen auftrumpft und viel Spielspaß garantiert. Ein eindeutiger Game-of-the-Year-Anwärter!

Vielen Dank an Koch Media und Sega für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von Lost Judgment!

Details
Titel: Lost Judgment
Genre: Action-Adventure
Publisher: Sega
Entwickler: Ryu Ga Gotoku Studio
Spieler: 1
Syteme: PS5 (getestet), PS4, Xbox One, Xbox Series X/S
Altersfreigabe: ab 16
Erscheinungsdatum: 24. September 2021