Rezension: The Great Ace Attorney Chronicles (PS4)

Student Ryūnosuke Naruhodō stellt sich in The Great Ace Attorney Chronicles als junger Anwalt zehn schwierigen Fällen.

Endlich heißt es wieder „Einspruch“! Die Ace-Attorney-Reihe hat außerhalb Japans seit dem 2016 für Nintendo 3DS veröffentlichten Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice pausiert. Lediglich die Neuauflage der ersten drei Teile als HD-Trilogie erschien in diesem Zeitraum für verschiedene Systeme. Doch auch in Japan wurde lediglich das zweite The Great Ace Attorney veröffentlicht. Mit The Great Ace Attorney Chronicles dürfen endlich die Fälle von Ryūnosuke Naruhodō aus The Great Ace Attorney: Adventures und The Great Ace Attorney 2: Resolve auch außerhalb Japans erlebt und abgeschlossen werden. Dabei spendiert Capcom den beiden ursprünglichen Nintendo-3DS-Spielen eine kleine Frischzellenkur und lässt sie optisch in einer schicken HD-Umsetzung erstrahlen. Leider wurde auf eine deutsche Übersetzung verzichtet und das sehr textlastige Spiel ist ausschließlich in Englisch gehalten. Aufgrund von Fachbegriffen und Dialekten, sind gewisse Sprachkenntnisse notwendig, um das Visual-Novel-Adventure flüssig zu erleben.

Unerwartet Anwalt

The Great Ace Attorney Chronicles verzichtet im Gegensatz zu den bisherigen Spielen der Reihe auf eine Anpassung des Settings. Statt die Geschichte irgendwie für den Westen anzupassen, Handlungsort und Namen zu ändern, erhalten wir genau die Erfahrung, die auch in den japanischen 3DS-Originalen geboten wurde. Lediglich kleine Überarbeitungen – wie der Name des britischen Meisterdetektivs in die seit den Arsène-Lupin-Romanen bekannte Variante Herlock Sholmes aufgrund von Copyright-Reglungen – finden sich im Spiel. In den beiden Great-Ace-Attorney-Teilen schlüpfen wir in die Rolle des Studenten Ryūnosuke Naruhodō, Vorfahre des bekannten Phoenix Wright (im japanischen Original Ryūichi Naruhodō), der Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts in die Rolle des Anwalts gedrängt wird. Das ist sogar wörtlich zu verstehen, da Ryūnosuke in der ersten Episode des Mordes an einem englischen Austauschprofessor seiner Universität beschuldigt wird. Statt wie geplant von seinem besten Freund Kazuma Asōgi verteidigt zu werden, wird Ryūnosuke dazu gebracht, dies selbst zu übernehmen. Kazuma steht uns dabei als Assistent zur Seite und bringt uns die Grundlagen des Visual-Novel-Adventures bei.

Große Unterschiede zu den Vorgängern, zeigen sich anfangs noch nicht. Dafür präsentiert sich The Great Ace Attorney Chronicles direkt zu Beginn als typischer Ableger der Reihe. Wir nehmen überzeichnete und teils vollkommen skurrile Zeugen ins Kreuzverhören, müssen Widersprüche aufdecken, Beweise in den richtigen Momenten präsentieren und auf diese Weise die Wahrheit hinter dem jeweiligen Verbrechen lüften. Stehen wir zu Beginn lediglich im Gerichtssaal, dürfen wir später auch wieder zwischen den Verhandlungen ermitteln, Tatorte untersuchen, Zeugen befragen und dergleichen mehr. Allerdings gibt es weiterhin einige Episoden, die sich nur auf einen der beiden Aspekte konzentrieren. Auffällig ist außerdem, dass die Episoden recht lang ausfallen. Bereits der Einstiegsfall rund um Ryūnosuke dauert gut fünf bis sechs Stunden und so verhält es sich auch bei den folgenden Handlungsbögen, die natürlich wie gewohnt aufeinander aufbauen. Manchmal kann sich das gestreckt und unnötig in die Länge gezogen anfühlen. Besonders, wenn wir bereits wissen, worauf etwas hinausläuft und was wir als nächstes machen wollen, aber ewig darauf warten müssen, bis wir endlich agieren dürfen. Gerade die ausufernden Dialoge und manche Begriffsstutzigkeit einiger Charaktere, kann hierbei durchaus etwas an den Nerven zehren. Insgesamt bleiben die Episoden aber stets unterhaltsam und schön abgedreht – genauso wie wir es von Ace Attorney erwarten.

Von Japan nach England

Wie schon in den Trailern angekündigt, verschlägt es Ryūnosuke gemeinsam mit seiner Assitentin Susato Mikotoba irgendwann nach England, genauer gesagt nach London. Hier versteht es The Great Ace Attorney Chronicles wunderbar, die kulturellen und technologischen Unterschiede zwischen Japan und dem britischen Königreich zu verdeutlichen. Zwar wird England als übertrieben fortschrittlich, inklusive Steampunk-Elementen, dargestellt, doch das passt wunderbar zum Spiel und fügt sich exzellent ein. Sind in Japan beispielsweise schwarz-weiß Fotografien gerade das neuste der Technik, erhalten wir in London farbige Fotos. Ein schöner Kontrast, der auch in der Geschichte immer wieder genutzt wird. Die noch jungen Beziehungen zwischen Japan und England werden immer wieder aufgegriffen, genauso wie die Unterschiede zwischen den Ländern. Die vorhandenen Sprachhürden werden dabei wunderbar mit geschnörkelter Schriftart, deren Worte nicht erkennbar sind, dargestellt, so dass trotz der englischen Texte deutlich wird, wenn jemand sein Gegenüber nicht versteht.

Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen Japan und England findet sich aber im Rechtssystem. Verhandeln wir im Land der aufgehenden Sonne noch wie gewohnt vor einem Richter, der letztlich das Urteil fällt, wird dieser in England von einer sechsköpfigen Jury unterstützt. Hier findet sich eines der neuen Gameplay-Elemente von The Great Ace Attorney. Die eigenwilligen Jury-Mitglieder, zu denen etwa eine strickende alte Frau oder eine teetrinkende Maid gehören, haben großen Einfluss auf den Schuldspruch. Während wir normal unserem Fall nachgehen, können die recht sprunghaften Charaktere entscheiden, einfach ihr Urteil zu fällen, für gewöhnlich natürlich schuldig. Es ist nun an uns, die Begründungen der sechs Jurymitglieder gegenüberzustellen und auf diese Weise Widersprüche aufzudecken. Das ist nicht nur witzig, weil wir Streit verursachen können, sondern kann auch die Meinung der jeweiligen Personen ändern. Haben wir vier Jurymitglieder überzeugt, ihren Schuldspruch zurückzuziehen, geht die Verhandlung weiter und wir dürfen die Zeugen wieder ins Kreuzverhör nehmen. Ein gelungener Zusatz, der zwar spielerisch kaum Änderungen bringt, das Gameplay aber schön auffrischt.

Korrigierte Schlussfolgerungen

Ähnliches gilt für den sogenannten Dance of Deduction. Bei diesem müssen wir die vermeintlich genialen Schlussfolgerungen von Meisterdetektiv Herlock Sholmes korrigieren. Da Herlock zwar über eine gute Beobachtungsgabe verfügt, aber recht vorschnell zu Ergebnissen kommt, liegt er fast immer falsch. Wenig überraschend müssen wir nun herausfinden, wie seine Vermutungen in die richtige Bahn gelenkt werden können. Dafür sehen wir uns am Handlungsort um, drehen die Kamera und suchen die nötigen Hinweise, um Schlüsselbegriff in Herlocks Schlussfolgerungen zu verändern und so die richtige Lösung zu erhalten. Auch das ist eher kurzweilig, aber genauso wie die Überzeugung der Jurymitglieder spaßige und auflockernde Abwechslung, die das Gameplay sichtlich aufwertet. Da The Great Ace Attorney Chronicles sonst dem bekannten Spielablauf treu bleibt, heißt es vor allem, viel lesen. Schließlich handelt es sich um ein Visual-Novel-Adventure. Fans der Reihe dürften mit den zehn Episoden rund um Ryūnosuke, Susato und die anderen illustren Charaktere wieder viel Spaß haben. Doch auch Neulinge können bedenkenlos zugreifen, da die Geschichte unabhängig von den Vorgängern ist und ein guter Einstieg geboten wird.

Bei der Optik setzt The Great Ace Attorney Chronicles wie gewohnt auf einen Anime-Stil und präsentiert sich in schicker Cel-Shading-Grafik, bei der sich Charaktere und Hintergründe wunderbar miteinander vereinen. Zahlreiche Details lassen Szenerien und Figuren lebendig erscheinen. Es ist deutlich zu erkennen, dass Capcom dem Spiel eine Überarbeitung spendiert hat, da die Grafik im Vergleich zu den Nintendo-3DS-Originalen deutlich schicker ist. Auf eine durchgängige Sprachausgabe wurde jedoch verzichtet und wir müssen uns mit gelegentlichen kleinen Worten und Sätzen begnügen. Untermalt wird das Geschehen von einem passenden Soundtrack, der die Stimmung stets gelungen begleitet und unterstützt. Das rundet den sehr guten audiovisuellen Eindruck von The Great Ace Attorney Chronicles gekonnt ab und zeigt, dass das Visual-Novel-Adventure nicht nur spielerisch und bei der Story überzeugen kann.

Fazit

Die erste Vorschau zu The Great Ace Attorney: Adventures, dem ersten Teil der Duologie, habe ich Anfang 2015 für das NMag geschrieben. Als Ace-Attorney-Fan habe ich mich schon vor der Veröffentlichung in Japan auf den neuen Teil im Japan der Meiji-Ära und im viktorianischen England gefreut. Leider ist das Visual-Novle-Adventure nie außerhalb Japans erschienen. Mit The Great Ace Attorney Chronicles erfüllt Capcom endlich den Wunsch der Fans und hat nicht nur den ersten, sondern gleich beide Great-Ace-Attorney-Spiele für aktuelle Systeme umgesetzt. Sicher, es gibt ein paar Macken und Ärgernisse. Etwa die sich in die Länge ziehenden Handlungsabschnitte oder die fehlenden deutschen Texte. Letzteres war aber bereits bei Phoenix Wright: Ace Attorney – Dual Destinies und Phoenix Wright: Ace Attorney – Spirit of Justice der Fall. Entsprechende Sprachkenntnisse sollten also gegeben sein. Wer sich daran nicht stört, erhält ein unterhaltsames, spannendes und teilweise durchaus herausforderndes Visual-Novel-Adventure mit illustren, skurrilen und überzeichneten Charakteren, die wunderbar den Humor unterstreichen. Zudem ist The Great Ace Attorney Chronicles mit zehn Fällen (je fünf für eines der beiden enthaltenen Spiele) und somit etwa fünfzig bis sechzig Stunden Spielzeit auch umfangreich. Genre- und Ace-Attorney-Fans sollten sich The Great Ace Attorney Chronicles nicht entgehen lassen.

Kurzfazit: Unterhaltsames Visual-Novel-Adventures das trotz einiger Längen und der fehlenden deutschen Übersetzung mit spannenden Fällen, interessantem Setting, überzeichneten Charakteren und genau der richtigen Note Humor überzeugt.

Vielen Dank an Capcom für die freundliche Bereitstellung eines Rezensionsexemplars von The Great Ace Attorney Chronicles!

Details
Titel: The Great Ace Attorney Chronicles
Genre: Adventure
Publisher: Capcom
Entwickler: Capcom
Spieler: 1
Syteme: PlayStation 4 (getestet), Switch, PC
Altersfreigabe: ab 6
Erscheinungsdatum: 27. Juli 2021

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